Autositze gehen auf Crashkurs

Bei Johnson Controls werden Rückhaltesysteme auf Herz und Nieren getestet

Wer der Autoindustrie dauerhaft zuliefern will, muss neben Technik nach neuestem Stand vor allem eines liefern: Qualität. Denn kaum etwas schadet einem Autohersteller mehr als ein Rückruf aufgrund fehlerhafter Komponenten. So entwickelt und fertigt Johnson Controls, ein weltweit agierender Automobilzulieferer, nicht nur – unter anderem – Sitzsysteme für Fahrzeuge, sondern testet sie im eigenen Hause aufwändig auf Herz und Nieren.

 Vor wenigen Wochen hat das in Burscheid ansässige Unternehmen gerade seine zweite dynamische Schlittenanlage – Kostenpunkt inklusive aller baulichen Anforderungen: drei Millionen Euro – eingeweiht. Das ist eine mit Druckluft betriebene Crashanlage, auf deren Schlitten der zu testende Autositz installiert wird. Auf diesem Sitz ist ein so genannter Dummy angegurtet.
Doch das ist nicht einfach eine Puppe in Menschengröße, sondern ein hoch kompliziert aufgebauter Versuchskandidat: Er ist dem menschlichen Körper biomechanisch präzise nachgebildet und bestimmten Punkten entlang der Wirbelsäule, im Beckenbereich und im Kopf mit Beschleunigungssensoren ausgestattet. Dazu kommen Kraftmessdosen im Nacken, in den Oberschenkelknochen, im Bereich der Knie- und Fußgelenke sowie der Fersen.
Der Schlitten kann auf der neuen Anlage innerhalb von nur 20 Millisekunden auf maximal 85 km/h beschleunigt werden, um danach auf ein Hindernis zu prallen. Eine Fülle von Daten wird dabei erfasst und ausgewertet. So gewinnen die Entwickler Erkenntnisse über die Festigkeit und das dynamische Verhalten von Sitzkonstruktionen. Doch mit der neuen Anlage kann auch der Heckaufprall simuliert und dabei erkundet werden, wie wirkungsvoll die Kopfstützen das gefürchtete Schleudertrauma verhindern können und wo Verbesserungspotenziale liegen.  
Allein in Deutschland erleiden etwa eine Million Menschen bei Unfällen ein Schleudertrauma – durch einen Heckaufprall, bei dem der Kopf zunächst in Fahrtrichtung beschleunigt wird und danach zurückprallt. Dr. Alexander Hasler arbeitet als Biomechaniker bei Johnson Controls und ist unter anderem mit diesem Thema und möglichen Lösungen befasst. Mit etwa ein bis zwei Milliarden Euro beziffert er die Kosten, die solche Schleudertraumata pro Jahr in Deutschland verursachen. „Da sind unter Umständen Kopf- und Nackenschmerzen, Schwindelgefühl und Gangunsicherheiten, Hör- und Sehstörungen, Schlafstörungen oder sogar Spasmen zu behandeln“, weiß er. Dabei gebe es wirksame Mittel, um solche Unfallfolgen zu verhindern oder zumindest deutlich zu mildern. „Zunächst ist es wichtig, die Kopfstütze richtig einzustellen. Ihre Oberkante und die Oberkante des Kopfes müssen eine Waagerechte bilden, damit die Kopfstütze optimal schützen kann“, erklärt er.

Doch einen weitaus besseren Schutz als herkömmliche Stützen bieten aktive Kopfstützen. Bei Johnson Controls sind solche aktiven Systeme schon vor Jahren entwickelt und der Fahrzeugindustrie zur Verfügung gestellt worden. Mit der neuen Schlittenanlage werden solche Crashs bei Tempo 35 simuliert. Dabei wird der Aufprall möglichst realitätsnah simuliert. „Detaillierte Erkenntnisse liefern dabei die Bilder von sieben Highspeed-Kameras, die bis zu 4000 Aufnahmen pro Sekunde schießen. Sie sind an einem Ausleger des Schlittens befestigt und zeigen bei der Auswertung sehr genau, wie sich der Körper des Dummys in welcher Phase bewegt“, betont Georg Müller, Bereichsleiter für statische und dynamische Sicherheitstests.
Ganz klar, so Müller, zeige sich, dass die aktive Kopfstütze bei einem Heckaufprall den Kopf abstützt und eine Überlastung der Halswirbelsäule verhindert. Dabei werde das Kissen der Kopfstütze so dicht an den Hinterkopf gedrückt, dass die relative Rückwärtsbewegung des Kopfes verhindert beziehungsweise abgemildert werde. „Seit 2009 ist der Heckaufprall auch Bestandteil des Euro NCAP-Crashtests. Johnson Controls ist bisher der einzige Sitzhersteller, der durchweg die Benotung „gut“ erhalten hat. Die beste Bewertung von allen bisher getesteten Sitzen erhielt unser Sitz für den neuen Opel Astra“, freut sich Dr. Hasler.

Eva-Maria Becker
Fotos: Die neue Schlitten-Crashanlage von Johnson Controls. Pro Jahr werden in Burscheid rund 1600 Crashversuche unternommen.  Foto: Eva-Maria Becker
           Dummy mit Beschleunigungssensoren im Bereich von Kopf und Nacken.  Foto: Eva-Maria Becker